Süchtige können neu Invalidenleistungen erhalten

6/8/19
Sozialversicherungsrecht

Bis zu seinem Entscheid vom 11. Juli 2019 ging das Bundesgericht davon aus, dass die süchtige Person ihren Zustand selbst verschuldet hat. Die süchtige Person hätte bei pflichtgemässer Sorgfalt die schädlichen Auswirkungen des Substanzkonsums erkennen und somit abwenden bzw.einer Heilung zuführen können. Mithin wäre es der süchtigen Person möglich gewesen, die Einschränkungen ihrer Erwerbsfähigkeit abzuwenden, weshalb die entsprechenden Einschränkungen invalidenversicherungsrechtlich irrelevant waren.Hiervon ausgenommen waren nur Fälle, bei denen die Suchtmittelabhängigkeit in einer Krankheit oder einem Unfall mündeten oder wenn die Sucht Folgen einer Krankheit war.

Die Medizin hält demgegenüber fest, dass es sich bei Suchterkrankungen klar um ein krankheitswertiges Geschehen handelt, dessen funktionelle Auswirkungen sich mit einem hypothetischen Substanzentzug nicht ohne weiteres zurückbilden.

In Anbetracht dieser medizinischen Erkenntnisse drängt es sich nach Auffassung des Bundesgerichts auf, Suchterkrankungen gleich wie andere psychische Erkrankungen zu behandeln. Dies hat zur Folge, dass künftig Suchtmittelerkrankungen invalidenversicherungsrechtlich als erhebliche Gesundheitsschäden in Betracht fallen können. Ein direkter Zusammenhang zwischen Diagnose und Arbeitsunfähigkeit besteht jedoch nicht. Die Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf die funktionelle Leistungsfähigkeit sind – wie auch bei psychischen Erkrankungen – fachärztlich festzustellen. Das bedeutet, dass in einem strukturierten Beweisverfahren ermittelt werden muss, ob und inwieweit sich eine fachärztlich diagnostizierte Suchtmittelabhängigkeit im Einzelfall auf die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person auswirkt.

Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichts entbindet die Süchtigen jedoch nicht von ihrer Pflicht, zur Minderung des Schadens beizutragen und an zumutbaren Behandlungen teilzunehmen (sog.Schadenminderungspflicht). Kommt die versicherte Person dieser Pflicht nicht nach, so ist davon auszugehen, dass sie willentlich ihren krankhaften Zustand aufrecht erhält, was zu einer Verweigerung oder Kürzung der Leistungen führen kann.

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